
Mehr Zuversicht für 2025
21. Januar 2025Die Soziologin Jutta Allmendinger erklärt, warum Gleichstellungspolitik so wichtig ist und welche Folgen traditionelle Rollenmuster für Frauen haben
Bei ihrem Festvortrag am Neujahrsempfang der Stadt Bamberg hat die Soziologin Jutta Allmendinger über Gleichberechtigung gesprochen. Genauer gesagt darüber, wie weit wir in Deutschland von einer Gleichberechtigung von Mann und Frau entfernt sind. Und was aus ihrer Sicht in der Gleichstellungspolitik geschehen müsste, um eine echte Verbesserung zu erreichen. Denn die Wissenschaftlerin von der Berliner Humboldt-Universität sagt: „Wenn uns etwas im Leben wirklich beschäftigt, dann ist es unsere Familie.“ Eine leicht gekürzte Zusammenfassung des Festvortrags:
Wie ist die Ausgangslage?
Innerhalb der Familien hat sich extrem viel geändert. Das Selbstverständnis von Frauen und das Selbstverständnis von Männern hat sich über die Jahrzehnte geändert. Die Familienzusammensetzungen haben sich geändert. Wenn man die letzten fünf Jahrzehnte anschaut, sind Trennungsquoten und die Scheidungsquoten gestiegen. Es gibt mehr Patchwork-Familien. Auch die Erwerbstätigkeit von Frauen hat enorm zugenommen. Die Unterbrechungen von Frauen sind kürzer geworden, die Erwerbstätigkeit von Frauen ist länger geworden.
Wir sehen die Frauen zunehmend in den mittleren und auch in Führungspositionen. Wir sehen auch, dass Unterschiede bei den Stundenlöhnen niedriger geworden sind. Wir sehen, dass das Lebenseinkommen für Frauen höher geworden ist. Auch ihr Renteneinkommen ist gestiegen.
Arbeitsmarkt derzeit besser als Heiratsmarkt
Bis vor sechs Jahren galt noch, dass Frauen im Alter besser dastehen, wenn sie erfolgreich auf dem Partnerschaftsmarkt waren, weil die abgeleiteten Renten von verstorbenen Männern höher waren als ihr eigenes Alterseinkommen. Das ist heute nicht mehr so. Der Unterschied liegt derzeit bei 210 Euro. Nicht viel, aber immerhin. Der Arbeitsmarkt ist besser als der Heiratsmarkt.
Auch Männer haben ihr Verhalten extrem geändert. Sie kümmern sich mehr um den Haushalt. Sie engagieren sich mehr, und es ist ihnen wichtig, im Gegensatz zu ihren Vätern und Großvätern, ihre Kinder aufwachsen zu sehen.
Faktor Kind: Wie sieht es mit der Gleichstellung aus?
Immer mehr Menschen sagen, dass sie Jüngeren nicht mehr raten würden, Kinder zu bekommen. Dafür gibt es Gründe:
Frauen sind in den Bereichen Schule, Ausbildung und Studium angekommen. Es gibt bis zum Studienabschluss keine Unterschiede mehr zwischen Frauen und Männern in der Leistungsqualität.
Frauen fühlen sich im Erwerbsleben besser abgesichert als zuhause. Dort haben sie Gleichstellungsbeauftragte und Ombudspersonen. Es gibt das Entgelt-Transparenzgesetz. Es gibt eine Sichtbarkeit von Frauen. Die Frauen sehen, dass etwas getan wird für ihre Situation am Arbeitsplatz. Sie sehen aber auch, dass noch lange nicht alles gut ist.
Sie sehen die Unterschiede im Entgelt. Sie sehen, dass sie keine Karriere machen. Sie sehen, dass ihre Belastung, auch ihre mentale Belastung, nicht wahrgenommen wird. Ihre Pflegearbeit ist nach wie vor eine unsichtbare Arbeit. Pflegearbeit beinhaltet dabei Kinder, aber auch ältere Eltern. Gerade mit Kindern werden Frauen alleingelassen. Die Kinderbetreuungseinrichtungen sind unzuverlässig. Die Kinder vielleicht nicht in der Ganztagsschule. Das ist mangelnde Unterstützung, die von Frauen auch so wahrgenommen wird.
Hinzu kommt ein kultureller Aspekt, Beispiel „Rabenmutter“. In Frankreich beispielsweise gibt es das Wort gar nicht. Insbesondere in Westdeutschland haben wir viele gesellschaftliche Vorurteile gegenüber arbeitenden Müttern. Dieser Stereotypisierung müssen wir begegnen.
Erwerbsarbeit und Carearbeit: Die Arbeit, die Frauen leisten, nimmt zu
Mit der steigenden Erwerbsarbeit arbeiten Frauen insgesamt wesentlich mehr, bezahlt und unbezahlt. Die Belastung der Frauen steigt. Männer bauen im Gegenzug ihre bezahlte Berufstätigkeit nicht im gleichen Maße ab. Beispiel Elternzeit: Nur 40 Prozent der Männer nehmen Elternzeit. Im Schnitt auch nur drei Monate und so gut wie kein Mann nimmt die Elternzeit alleine. Und nach der Elternzeit arbeiten Frauen viele Stunden in der Woche weiterhin unbezahlt. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben, ohne, dass Männer sie entlasten. Das führt zu einer ständigen Mehrbelastung, zu Einsamkeit und Depressivität. Es kann nicht sein, dass Gleichstellungspolitik heißt, dass Frauen am Rand der Erschöpfung arbeiten.
Wir brauchen eine Männerpolitik. In anderen Ländern ist die Gleichstellung schon weiter, in Deutschland arbeiten nach wie vor nur wenige Männer in Teilzeit.
Wir brauchen andere Lebensläufe. In der Zeit, in der wir unsere Kinder großziehen oder unsere Eltern pflegen, können nicht beide Eltern in einem Haushalt in Vollzeit erwerbstätig sein, sondern vielleicht 35, 36 Stunden arbeiten. Das Arbeitsvolumen von Männern und Frauen würde auch nicht sinken, sondern sogar etwas steigen. Denn die Stundenzahl, die Frauen im Moment in Teilzeit arbeiten ist so niedrig, dass eine Erhöhung, die mit einer geringen Reduktion der Vollzeiterwerbstätigkeit von Männern einhergeht, insgesamt ein höheres Arbeitsvolumen ergeben würde.
Kind oder Karriere?
Viele Frauen sagen: Mit Familie und Karriere gleichzeitig komme ich nicht zurecht. Frauen gehen also zurück in die Familie und verzichten auf einen Job, andere Frauen machen Karriere und verzichten auf Kinder.
Diese Polarisierung führt dazu, dass die Geburtenraten sinken. Und die Sichtbarkeit von Frauen mit Kindern sinkt. Nach wie vor werden Frauen marginalisiert, die versuchen, Arbeit und Familie miteinander zu verbinden. Auch die Ungleichheit im Einkommen, die Ungleichheit im Lebenseinkommen und in der Rente müssen wir näher betrachten. Nach wie vor liegt der Unterscheid beim Stundenlohn zwischen Männern und Frauen bei 19 Prozent. Und es gibt einen extremen Unterschied im Lebenseinkommen: In Westdeutschland liegt der Unterschied zwischen einem 1974 geborenen Mann mit zwei Kindern zu einer 1974 geborenen Frau mit zwei Kindern im Lebenseinkommen bei 900.000 Euro. Erst bei der Rente wird der Unterschied wieder weniger.
Ehegattensplitting, Minijobs, Mitversicherung
Andere Länder haben kein Ehegattensplitting und damit keine steuerlichen Erleichterungen für ungleiche Bezahlung. Andere Länder haben auch keine kostenlose Mitversicherung und keine Minijobs. Das sind falsche Anreize.
Wahlkampfthema „Erziehungszeit“:
Eine Partei möchte eine Rückkehr in traditionelle Familienmuster beschleunigen. Geht ein Elternteil drei Jahre in Elternzeit, soll es in dieser Zeit den durchschnittlichen Nettolohn beziehen. Zusätzlich soll es für jedes Kind ein Willkommensgeld von 20.000 Euro geben. Aufgrund des Durchschnittseinkommens und des im Durchschnitt jüngeren Alters der Mutter wird es meist die Frau sein, die in Elternzeit geht.
Diese Politik führt zurück in die Zeiten meiner Großeltern. Die Folgen sind katastrophal. Die Frauen haben den Anschluss verloren. Sie haben ihr eigenes Leben verloren. Die Anerkennung außerhalb der Familie. Nach einer so langen Unterbrechung ist es sehr schwierig, wieder in qualifizierte Berufe zurückzukommen.
Der Unterschied im Lebenseinkommen wird steigen. Die Frauen werden bei ihrer Rente wieder abhängig sein von der Rente ihres Mannes. Der Heiratsmarkt wird sich wieder mehr lohnen als der Arbeitsmarkt. Daraus ergeben sich enorme Probleme. Vor allem dann, wenn die Paare sich trennen oder scheiden lassen. Und das kommt häufig vor.
Über Jutta Allmendinger:
Jutta Allmendinger lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer Forschung beschäftigt sich die Soziologin mit Lebensverläufen und mit der Frage, wie diese beispielsweise durch Institutionen geprägt werden. Ein weiteres Forschungsgebiet Allmendingers ist die Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Arbeitswelt, speziell in Fragen der Arbeitsorganisation. Die Wissenschaftlerin hat außerdem einen ausführlichen Vorschlag vorgelegt, wie Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland zu erreichen wäre.
Protokoll: Karoline Keßler-Wirth