Sport ist ihr Leben

Überraschender Heimsieg der Bamberg Baskets
13. März 2025
Ein Tänzer und zwei Tänzerinnen, mit afrikanischen Tüchern
Auf der Suche nach uns selbst
12. Mai 2025
Überraschender Heimsieg der Bamberg Baskets
13. März 2025
Ein Tänzer und zwei Tänzerinnen, mit afrikanischen Tüchern
Auf der Suche nach uns selbst
12. Mai 2025

84 Jahre alt – und immer noch topfit: Eine Bambergerin geht zur Gymnastik, fährt Rennrad, macht Schneeschuh-Touren – und denkt gar nicht ans Aufhören

Bamberg Erst mit 40 hat sie mit Sport angefangen, mit 70 stand sie zum ersten Mal auf dem Gipfel eines 4000ers: Die 84-jährige, sie soll hier Gisela heißen, ist ein echtes Phänomen.


Es ist Mittwochabend, in der Turnhalle der Hugo-von-Trimberg-Schule findet die Skigymnastik des Alpenvereins statt. Das heißt auch: Zirkeltraining auf blauen Turnmatten. Gisela ist mit dabei, und zwar seit Jahrzehnten. Kniebeugen, Liegestützen, Sit-Ups, immer eine halbe Minute, dann wird die Seite gewechselt. Für Gisela sind diese Übungen kein Problem: „Liegestütze kann ich noch, ja!“, sagt sie. Zweimal die Woche besucht sie ihre Sportkurse, beim Gymnastikkurs der Volkshochschule am Montagabend ist sie seit über 40 Jahren dabei. Die Übungen kann sie alle. Nur beim Springen auf der Stelle macht sie mittlerweile etwas langsamer, im vergangenen Jahr hatte sie sich bei einem Sturz während der Gymnastik Handgelenk und Oberschenkelhals gebrochen. Vom Trainieren hält sie das aber nicht ab.

Dabei hatte sie die ersten 40 Jahre ihres Lebens mit Sport gar nichts am Hut. Im Gegenteil: 1943 fällt ihr Vater, die Mutter bleibt mit den zwei kleinen Kindern allein zurück. „1945 kam die große Flucht. Wir sind mit meiner Mutter 1945 aus Schlesien geflohen, im Flüchtlingstreck. Wir haben von Februar bis Oktober im Zug gewohnt. Danach sind wir bei Bauern untergekommen. Dort durften wir alles machen, nur keinen Sport. Du durftest dich nicht verletzen.“ Ihre Mutter lässt die kleine Gisela keinen Sport machen. In der Volksschule nicht, auch nicht, als sie in Haßfurt aufs Gymnasium kommt, die Angst vor einer Verletzung sitzt auch Jahre nach der Flucht noch zu tief. „Ich hatte keinen Badeanzug, ich hatte keinen Turndress. Und es hat mir auch nicht gefehlt.“ Für den Schulsport hat sie Entschuldigungen und Ausreden. Sie sitzt immer draußen auf der Bank. „Später war ich in Bamberg in der Schule. Zu der Zeit war ich schon freiwillige Helferin beim Roten Kreuz. Da habe ich mir vor jeder Turnstunde irgendwo einen Verband angelegt, und gesagt: Ich kann nicht.“ Eine ganze Kindheit und Jugend weitgehend ohne Sport: „Nur Rad bin ich schon immer gerne gefahren.“ Gisela heiratet, sie und ihr Mann, ein Malermeister, kaufen ein altes Gärtnerhaus, wollen es gemeinsam renovieren. Sie bekommen einen Sohn. Doch dann stirbt ihr Mann drei Jahre später, mit nur 47 Jahren. Sie muss nun alles allein managen, und die Handwerker bezahlen.

Mit 40 das erste Mal Ski gefahren

Zur Trauer um ihren Mann kommt hinzu: „In unserem Freundeskreis wurde nur noch über meinen Trauerfall gesprochen. Das habe ich irgendwann nicht mehr ausgehalten.“ Sie muss etwas in ihrem Leben ändern, und meldet sich zur Skigymnastik in der Volkshochschule an. Aus den Sportkameradinnen und -kameraden werden im Laufe der Jahre Freunde. Gisela fängt an, mit den Wandergruppen des Bamberger Alpenvereins mitzugehen. Dann fährt ihr Sohn in den Skikurs. Er ist begeistert, und wünscht sich, dass seine Mutter auch Skifahren lernt. Gisela, die noch nie auf Skiern stand, kauft sich Ski: „Ganz einfache“, sagt sie. Sie fährt mit ihrem Sohn nach Sölden in Österreich, auf eine Alm. Gisela macht einen Skikurs, mit 40 Jahren. Die anderen Schüler im Kurs sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. „Der Skilehrer hat dann immer zu mir gesagt: Mutter, machst des a? Mutter, fährst da runter?“, erinnert sie sich, die Stimme des Skilehrers noch im Ohr. Und sie fährt herunter. „Ich war begeistert, der Schnee, die Landschaft, die Bewegung!“ Seitdem geht sie zweimal im Jahr zum Skifahren, sie hört erst auf, als sie 80 wird.

Dann, ein paar Jahre später, kommt ihr 25-jähriges Firmenjubiläum. Das Unternehmen, in dem sie arbeitet, erfüllt ihr einen Herzenswunsch: ein Rennrad, für sie konfiguriert. „Ich sehe es noch vor mir, die anderen Frauen hatten sich Musiktürme gewünscht, die kamen damals gerade auf. Und einige eine Spülmaschine. Mittendrin stand mein Rennrad.“ Ihr erstes Fahrrad mit Gangschaltung. Abends übt sie auf dem Damm damit das Fahren. „Da bin ich richtig reingewachsen,“ erinnert sich Gisela. Sie fährt dann sogar ins Trainingslager nach Italien, nach Cesenatico. „Der Fahrtwind, ich habe es einfach geliebt“, sagt sie über das Rennradfahren. „Das war einfach mein Leben.“

Feierabendtouren führen sie in die Haßberge und die Fränkische Schweiz, am Wochenende macht sie auch große Touren. Dabei ist sie auch mit einer Gruppe des ADFC unterwegs. Ebenfalls regelmäßig auf diesen Touren dabei ist ihr heutiger Lebensgefährte, er soll hier Karl heißen. „Wir haben uns nie überschnitten. Aber man hatte mir erzählt, dass ein Mann eine Radtour von Brest nach Bamberg plante und man ihm gesagt hatte: Du musst die Gisela anrufen. Sie spinnt genauso wie du!“ Die beiden fahren tatsächlich mit einem Fahrradbus ab Köln nach Brest in der französischen Bretagne und von dort vier Wochen lang mit dem Fahrrad zurück nach Hause. Und sie werden tatsächlich ein Paar.

Die Sportlerin in ihrer Küche, sie hält ein gerahmtes Foto von einer Bergtour in der Hand
Gisela mit ihrem Lieblingsfoto von ihrer ersten Tour auf einen 4000er.

Am 70. Geburtstag auf dem Gran Paradiso

Als Gisela in den Ruhestand geht, hat sie noch einmal einen Wunsch ihres Arbeitgebers frei: „In einem Radmagazin habe ich eine Anzeige gesehen für eine Tour von Basel nach Barcelona, und einer Schlussetappe auf Mallorca. Da wusste ich: Das will ich machen.“ Ihr Chef fragt, ob sie sich sicher ist, dass sie das will. Dann wird die Reise gebucht. „Ab da haben wir trainiert wie die Narren. Wenn Karl von der Arbeit kam, hatte ich alles schon vorbereitet.“ Sie fahren den Ellerberg hoch, den Würgauer Berg, oder in die Haßberge. „Am Wochenende sind wir dann bis Bischofsheim vor der Rhön gefahren und über Schweinfurt wieder zurück.“ 180 Kilometer war diese Trainingsstrecke lang. Auf der Radtour nach Barcelona fahren sie dann jeden Tag 150 bis 180 Kilometer, insgesamt 1320 Kilometer und 11.000 Höhenmeter in 10 Etappen. In den Pyrenäen fahren sie auf einer Etappe gute 140 Kilometer bis zum Pass, danach ging es noch einmal 30 Kilometer bergauf. „Da oben stand ja das Bett, da mussten wir eben hoch“, erinnert sie sich. Das viele Training im Vorfeld hat sich gelohnt: „Der Rest der Gruppe war 30, 40 Jahre jünger als wir. Aber auf uns warten mussten sie nie.“ Für alle ihren großen Touren, ob zu Fuß oder mit dem Rad, galt: „Ich war nie die Beste, aber ich war immer dabei.“

Bei einem Skiunfall bricht sich Gisela das rechte Sprunggelenk. Sie kann eine Zeitlang nicht Skifahren. So kommt sie zum Berggehen. Ihr Lebensgefährte wird in dieser Zeit Wanderleiter im Bamberger Alpenverein. „Um die Touren anzubieten, waren wir vorher immer zwei, dreimal im Gebirge. Wir haben die Touren und die Hütten gesucht, die Tour ausprobiert.“ Immer mehr Zeit verbringen sie im Gebirge, die Touren werden länger und anspruchsvoller. Ein Freund fragt sie, ob sie ihn nicht auf eine Hochtour begleiten möchten. „Das war für uns der Einstieg in die Hochtouren.“
An ihrem 70. Geburtstag steht Gisela, die 40 Jahre gar keinen Sport gemacht hat, das erste Mal auf dem Gipfel eines 4000ers, dem Gran Paradiso in den italienischen Alpen. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt sie. Klettersteige gehen sie in dieser Zeit auch.

Von ihren vielen Touren im Gebirge und den Fahrten der Bamberger Sektion des Alpenvereins mit gemeinsamen Wanderungen zeugen eindrucksvolle Bilder in ihrer Wohnung und liebevoll kuratierte Fotobücher. „Wir waren so viel unterwegs, in Österreich, in den Dolomiten, in der Schweiz, in den französischen Alpen, auf der Zugspitze, wir waren auch im Harz, in der Rhön, im Schwarzwald, überall.“

Auf das Rennrad setzt sie sich immer noch

Neben dem sportlichen Aspekt der Hochtouren und der Klettersteige hatte sie immer auch einen Blick für die faszinierenden Landschaften. Die Gletscherfelder am Aletschgletscher in der Schweiz, die Panoramen am Schweizer Allalinhorn oder in den Stubaier Alpen im österreichischen Tirol, dazu die moosbegrünte Gletschermühle, in die man mit Leitern hineinsteigen kann: „Es ist wunderschön. Je nachdem, wie das Licht einfällt, ist das Moos hell oder dunkel.“ Gisela kommt ins Schwärmen. „Diese Steine, diese Landschaft im Gebirge, das kann man nicht beschreiben.“

Manchmal stimmten die Touren im Gebirge sie auch nachdenklich. In Stubai beispielsweise hat sie gesehen, wie schnell das Eis verschwindet. Einmal geht sie eine Tour sechs Jahre später noch einmal. Genau wie beim ersten Mal ist sie im Juni unterwegs. Dort, wo bei ihrer ersten Tour noch alles vereist war, ist jetzt nur noch ein Wanderweg. „Es ist schockierend, zu sehen, wie sich die Berge verändern“, erzählt Gisela.

Auf Hochtouren gehen Gisela und „mein Karl“, wie sie sagt, heute nicht mehr. Regelmäßig Rennradfahren und Wandern aber schon. Im Winter waren sie auch ein paar Tage beim Schneeschuhwandern. Wie so häufig mit dem Alpenverein. Jetzt freut sich Gisela wieder auf die regelmäßigen Wandertreffs am Wochenende. Und natürlich auf Mittwochabend, auf ihre Skigymnastik. „Solange ich noch kann, komme ich auch.“ Über ihr Leben sagt sie: „Ich habe wirklich harte Zeiten erlebt. Aber die Jahre mit unseren Touren waren geschenkte Jahre. Der Sport ist für mich ein großes Geschenk.“

Text: Karoline Keßler-Wirth
Pics: Karoline Keßler-Wirth und privates Archiv

Comments are closed.

Cookie-Einstellungen